Handgenähte Unikate

Dem Exilarchiv wurde der Splitternachlass der Designerin Charlotte Bondy (1907–1986) geschenkt. Die als Charlotte Schmidt geborene Münchnerin emigrierte 1936 über die Schweiz nach Großbritannien und heiratete dort ihren jüdischen Verlobten Paul Bondy, mit dem sie 1937 eine Familie gründete. In London versuchte die tierliebende Designerin beruflich Fuß zu fassen. Sie entwarf eine Vielzahl von Stofftieren, die aber nie in Produktion gingen. Charlotte Bondy lehnte eine vereinfachte Massenproduktion ihrer Entwürfe ab. So blieben viele der Stofftiere Unikate. Ein umfangreiches Konvolut der handgenähten Tiere wurde in den Bestand des Exilarchivs aufgenommen.

Rezepte aus Österreich

Das Thema Kochen beschäftigt das Exilarchiv weiter, auch in seiner Sammlung. Ein wunderbarer Neuzugang ist das handschriftlich geführte Rezeptbuch von Margarethe Kollmann.
Sie hatte in Wien bei der berühmten Köchin und Kochbuchautorin Alice Urbach gelernt, deren Standardwerk „So kocht man in Wien!“ 1938 „arisiert“ und mit gestohlener Autorschaft weiter aufgelegt wurde.
Margarethe Kollmann emigrierte 1938 nach Großbritannien und setzte ihre Back- und Kochkünste als Angestellte bei einer reichen Familie in Hayling Island ein. Ihr Gebäck rettete ihr das Leben, erzählte sie später ihrer Tochter Ilse Camis, die Großbritannien mit einem Kindertransport erreicht hatte. Ilse fand Aufnahme in einem Heim für geflüchtete Mädchen. Die Wege von Mutter und Tochter kreuzten sich hier, denn die Heimleiterin war keine andere als die berühmte Alice Urbach, bei der Ilses Mutter in Wien gelernt hatte. Wenn sie auch an unterschiedlichen Orten lebten, versuchten Mutter und Tochter in Kontakt zu bleiben.


Das überlieferte Kochbuch setzt 1915 ein. Es enthält viele Rezepte aus der österreichischen Küche: Mehlschöberl, Zwetschgenknödel, Schwammerlsuppe, Kartoffelschmarn und Palatschinken. Die Rezeptsammlung begleitete Margarethe Kollmann ins Exil nach Großbritannien. Sie nahm Rezepte und Getränketipps aus dem Zufluchtsland – zum Beispiel „Cod Fish“ oder „Hot days Drinks“ – darin auf und wechselte dafür in die englische Sprache. Auch Sprachmischungen finden sich im Buch: „½ cup Milch, ½ cup Zucker, 1 teaspoon Salz, ½ cup warm Wasser“. Ein eindrucksvolles Exilobjekt, das von der Enkelin Sue Camis durch Vermittlung der Historikerin und Autorin Karina Urbach, der Enkelin von Alice Urbach, den Weg in die Sammlung des Deutschen Exilarchivs gefunden hat.

Musik und mehr: Electric Callboy


Neuzugang im DMA: Wer einen Spieleabend organisiert, macht sich in der Regel auch ein paar Gedanken dazu, welche Musik dabei laufen soll. Doch was tun, wenn man zu einem Musikabend einlädt, aber kein passendes Spiel zur Hand hat? Die Lösung bietet die Metalcore-Band Electric Callboy, die in die Deluxe Fanbox ihres aktuellen Albums „Tekkno“ alles reingesteckt hat, was man für einen gepflegten Abend mit netten Leuten so braucht: ein Quartett-Kartenspiel mit den Charakteren ihrer Musikvideos, Untersetzer sowie natürlich das neue Album. Und als besonderes Highlight: einen Sound-Flaschenöffner. Für diesen hat die Band laut Interview „einfach mal im Studio irgendwelchen Schwachsinn“ eingesprochen. Mögen die Spiele beginnen.

Raubdrucksammlung


Nach zähen Verhandlungen konnte das DBSM eine rund 3.000 Exemplare umfassende Sammlung von Raubdrucken übernehmen. Der Schwerpunkt des erworbenen Bestandes liegt auf Underground-Drucken des 20. Jahrhunderts. Enthalten sind aber auch prominente Beispiele aus früheren Jahrhunderten.
Was genau ist ein Raubdruck? Seit der Erfindung des Buchdrucks treiben unberechtigte Nachdrucke die Buchwelt um. Geschädigt waren in der Frühzeit des Buchdrucks die Verlage. Mit der Diskussion um das Urheberrecht und der Stärkung der Autor*innenrechte im 19. Jahrhundert verlagerte sich das Thema Raubdruck. In der digitalen Welt erhält es neue Aktualität und Brisanz.
Zur Erforschung des Bestands ist eine Kooperation mit dem DFG-Graduiertenkolleg „Literatur und Öffentlichkeit“ (GRK 2806) angestoßen.

Geschäftsansichten Leipziger Unternehmen


Geschäftspapiere haben für gewöhnlich nur eine geringe Halbwertszeit. Oft besitzen sie einen Aktualitätsbezug und werden deshalb nicht allzu lange aufbewahrt. Sie gehören zum ephemeren Schrifttum.
Das DBSM konnte 2022 eine Sammlung von ganz besonderen Geschäftspapieren erwerben: Die 446 gedruckten Briefen und Rechnungen Leipziger Firmen stammen aus dem Zeitraum von 1860 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie bieten nicht nur Aufschluss über Details der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte wie die einzelnen Geschäftszweige der Unternehmen oder die Anzahl ihrer Beschäftigten. Sie zeigen zugleich Ansichten der Firmengebäude und stellen damit eine bedeutende kunst- und architekturhistorische Quelle dar.

Provenienzforschung: Auf den Spuren der Vergangenheit

Im Mittelpunkt der Provenienzforschung (vom Lateinischen provenire: herkommen) steht die Herkunftsgeschichte von Kulturgütern. Ein besonderer Fokus richtet sich dabei auf die Identifizierung von sogenanntem NS-Raubgut, also Objekten, die ihren Eigentümer*innen während der Zeit des Nationalsozialismus aufgrund von rassischer, politischer oder weltanschaulicher Verfolgung entzogen wurden. Ziel dieser Recherche ist es, die Erb*innen der früheren Eigentümer*innen ausfindig zu machen, um ihnen die Bücher zurückzugeben. Diesem Ziel kommt die DNB auch mithilfe von Kooperationen näher. 2022 konnte die DNB erneut einen Restitutionsfall abschließen. Eine Erstausgabe von Goethes „West-oestlichem Divan“ gelangte zurück zu den rechtmäßigen Erb*innen. 

Im Sommer 2022 ist die DNB der Kooperation LCA beigetreten. In dem 2016 gegründeten Netzwerk arbeiten derzeit zehn Bibliotheken aus Deutschland und Israel partnerschaftlich bei der Recherche und Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Büchern zusammen. Eine gemeinsame Datenbank ermöglicht es den Provenienzforscher*innen der Kooperation, ihr Wissen zu bündeln und institutionenübergreifend zu Raubgut-Verdachtsfällen zu forschen.

Im Gegensatz zu einem Bibliothekskatalog ist die LCA-Datenbank keine reine Objektdatenbank. Sie arbeitet mit drei verschiedenen Datensatz-Typen: Exemplaren, Provenienzhinweisen und Entitäten, also Personen und Körperschaften. Die Verknüpfung zwischen diesen Datensätzen ermöglicht es, Bezüge zwischen Büchern, darin vorgefundenen Merkmalen – beispielsweise Stempel oder Exlibris – sowie den Vorbesitzer*innen, von denen die Merkmale stammen, zu visualisieren. Dabei können die Forschenden aus der Kooperation im nichtöffentlichen Backend Recherche-Ergebnisse zu den jeweiligen Entitäten hinterlegen und diese institutionenübergreifend einsehen oder ergänzen.

Zusammenhänge digital sichtbar machen

Ehemals zusammengehörige, aber heute auf mehrere Bibliotheken zerstreute Buchsammlungen können so digital miteinander in Beziehung gesetzt und Doppelrecherchen vermieden werden. Soweit es nach datenschutz- und persönlichkeitsrechtlichen Bestimmungen möglich ist, werden die Rechercheergebnisse zugleich im frei über das Internet zugänglichen Frontend der Datenbank sichtbar. Diese Transparenz nach außen ermöglicht es Nachfahren von Verfolgten und der interessierten Öffentlichkeit, sich über die Fundstellen zu informieren und mit zusätzlichen Informationen zu den Fundstellen an die LCA-Kooperation heranzutreten.

Goethe-Erstausgabe: Wer waren die Eigentümer?

Welche Synergien sich aus dem kooperativen Forschungsansatz von „Looted Cultural Assets“ ergeben können, hat die Provenienzforschung der DNB bereits vor dem Beitritt erfahren dürfen. Sie verdankt der Kooperation wichtige Hinweise für einen Restitutionsfall aus dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum, der im Sommer 2022 abgeschlossen werden konnte.

Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum hat im Jahr 1956 über die Deutsche Buchexport-GmbH bei einer Auktion des Westberliner Antiquariats Gerd Rosen eine Erstausgabe von Goethes „West-oestlichem Divan“ erworben. Das Exemplar enthält ein Exlibris, das auf das Kaufmannsehepaar Emil und Jenny Baerwald verweist.

Die Geschichte von Jenny und Emil Baerwald

Das Paar hatte 1906 in New York geheiratet und lebte seit 1925 in Berlin. Im nationalsozialistischen Deutschland als Juden rassisch verfolgt, entschieden sich die beiden 1938 für die Rückkehr in die USA. Während Jenny Baerwald als amerikanische Staatsbürgerin eine größere Reisefreiheit hatte, musste Emil Baerwald sich im amerikanischen Konsulat in Berlin um ein Visum bemühen. Aus diesem Grund war es ihm nach der Ausreise im August 1938 auch nicht möglich, noch einmal zurückzukehren, sodass Jenny Baerwald im Herbst 1938 allein nach Berlin reiste, um dort letzte Angelegenheiten zu regeln, ehe das Paar im März 1939 die Überfahrt nach New York antrat.

Teile ihres Umzugsguts blieben im Hamburger Überseehafen zurück und kamen wohl 1942 zur Versteigerung. Wie die Goethe-Erstausgabe in den Antiquariatsbuchhandel gelangte, kann nicht mehr aufgeklärt werden. Mit Hilfe der LCA-Datenbank konnte jedoch festgestellt werden, dass bereits 2018 im Bestand der Zentral- und Landesbibliothek ein weiteres Buch aus der ehemaligen Baerwald-Privatbibliothek identifiziert worden ist, das wohl um 1943 ebenfalls im Berliner Antiquariatsbuchhandel kursierte. Über die Berliner Kolleg*innen konnte die DNB Kontakt zu den Erb*innen von Emil und Jenny herstellen und die Goethe-Erstausgabe im Sommer 2022 an sie zurückgeben. In Form eines Digitalisats ist das Buch – mit Einverständnis der Erb*innen – weiterhin im Katalog verfügbar.

Letzte Änderung: 19.09.2023

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