Eine für alle: Öffnung der Gemeinsamen Normdatei

Die GND soll sich öffnen: Ihr Datenschatz soll nicht nur Bibliotheken vorbehalten sein, sondern auch Museen, Archiven, Denkmalbehörden oder wissenschaftlichen Einrichtungen zugutekommen. 2022 wurden wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Öffnung und Vernetzung der GND mit anderen Systemen erreicht.

Normdaten repräsentieren und beschreiben Entitäten – also zum Beispiel Personen, Orte oder Werke, die in Bezug zu kulturellen und wissenschaftlichen Sammlungen stehen. Der Vorteil der Normdaten? Sie erleichtern die Erschließung, bieten eindeutige Sucheinstiege und vernetzen unterschiedliche Informationsressourcen. Damit jetzt auch nicht-bibliothekarische Sparten von der GND profitieren, wurden in 2022 einige Anstrengungen im Bereich der Organisationsstruktur und Community-Arbeit unternommen.

Welche Meilensteine wurden erreicht?

Zum Beispiel wurden die Aufgaben und Dienste der sogenannten GND-Agenturen kritisch geprüft. Über die GND-Agenturen können Institutionen, die vorhandene Normdaten nicht nur nachnutzen möchten, aktiv an der GND-Struktur mitwirken. Dank der GND-Agenturen sind die Institutionen beispielsweise in der Lage, neue Datensätze anzulegen. Dabei sind die Aufgaben der GND-Agenturen sehr vielfältig. Die folgende Grafik vermittelt davon einen guten Eindruck:



Wie können alle von der GND profitieren?

Die vorhandenen organisatorischen, fachlichen und technischen Strukturen müssen modernisiert und neu gefasst werden. Es gilt, die Anforderungen anderer Kultur- und Wissenseinrichtungen – beispielsweise von Archiven, Museen, Mediatheken, Denkmalbehörden, Universitäten und Wissenschaftsnetzwerken – besser zu integrieren und deren praktische Mitwirkung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck hat die DNB 2022 zahlreiche Projekte umgesetzt.

ORCID

Ziel des DFG-Projektes ORCID DE ist es, die vielerorts erwogene Implementierung der ORCID iD an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen nachhaltig zu unterstützen – und zwar durch die übergreifende Verzahnung der GND im wissenschaftlichen Kontext.

NFDI Text+

Zentrales Element zum Aufbau eines semantischen Datenökosystems: Die von Bund und Ländern finanzierte NFDI unterstützt unter anderem den Öffnungs- und Modernisierungsprozess der GND für Forschungsdaten. Ein Schwerpunkt der Projektarbeit 2022 lag auf dem Aufbau der Projektinfrastruktur. Darüber hinaus fokussierte das Projekt darauf, die spezifischen Normdaten-Bedarfe der Forschenden in den text- und sprachbasierten Wissenschaften zu erheben. Hierfür wurde der Diskursraum GND-Forum Text+ eingerichtet.

Blogposts zum Thema:
Werkstattbericht: 2. GND-Forum Text+
And the beat goes on - Zusammenarbeit von GND und Text+
Den Text- und Sprachforschenden zuhören
Knoten knüpfen sich nicht von allein

NFDI4Culture

NFDI4Culture ist das Konsortium für Forschungsdaten zu materiellen und immateriellen Kulturgütern. Der Arbeitsbereich Standards, Datenqualität und Kuratierung fördert verschiedene Community-spezifische Projekte. Das Ziel: eine verbesserte Nutzung und Anwendung der GND. NFDI4Culture unterstützt darüber hinaus die Etablierung einer GND-Agentur Bauwerke.


Austausch hilft: Diskursräume für die Öffnung der Gemeinsamen Normdatei

Die GND soll sich öffnen: Ihr Datenschatz soll nicht nur Bibliotheken vorbehalten sein, sondern auch Museen, Archiven, Denkmalbehörden und wissenschaftlichen Einrichtungen zugutekommen. Dabei ist es wichtig, dass alle Akteure miteinander ins Gespräch kommen – damit die Bedarfe der „Neuen“ frühzeitig gehört und einbezogen werden.

Normdaten repräsentieren und beschreiben Entitäten – also zum Beispiel Personen, Orte oder Werke, die in Bezug zu kulturellen und wissenschaftlichen Sammlungen stehen, und verbinden diese so zu einem umfassenden Wissensgraphen. Bislang nutzten vor allem Bibliotheken die GND, um Literatur zu erschließen. Doch zunehmend arbeiten auch Archive, Museen, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen im Rahmen von Forschungsprojekten mit der GND. Dabei erfordert die Modernisierung und Öffnung der GND für weitere Kultursparten auch die Weiterentwicklung bestehender Strukturen: Diesen wichtigen Community-Prozess fördert aktiv das neue Diskurs-Format „GND-Forum“. Hier können die Communities ihre spezifischen Bedarfe oder Barrieren ansprechen – und in Workshops und Arbeitsgruppen lösungsorientiert adressieren.

Für jeden Bedarf das passende Forum

Ins Leben gerufen wurde das Format – gemeinsam mit Partnern – von der Arbeitsstelle für Standardisierung der Deutschen Nationalbibliothek. Entscheidend dafür, ein GND-Forum einzurichten, ist der Bedarf der jeweiligen Community. Diese kann sich rund um eine Medienform, ein Material, eine Sparte oder ein Thema formieren. Allen Communities gemein ist ihr Interesse an der GND als Referenzdatensystem und die Absicht, sie in ihren eigenen Daten zu verwenden.

Standardisierung für alle: Standardisierungsausschuss sorgt für Einheitlichkeit

Ohne gemeinsame Standards geht es nicht: Um das volle Potenzial der großen Datenmengen im geistes- und kulturwissenschaftlichen Bereich auszuschöpfen, braucht es gemeinsame Standards, Referenzpunkte und Anwendungsregeln. Der STA hält die Fäden in der Hand und sorgt für Einheitlichkeit. Mit dem Auftreten neuer Akteure gibt es einiges zu kommunizieren und zu koordinieren.

Man stelle sich einmal vor, es gäbe zwischen Bibliotheken keine Absprachen darüber, wie Daten erfasst werden sollen. Ein absolutes Chaos wäre die Folge, die Suche nach geeigneter Literatur gliche jener nach der Nadel im Heuhaufen. Aus diesem Grund sorgt der Standardisierungsausschuss seit Jahrzehnten dafür, den Einsatz einheitlicher Standards für Erschließung, Schnittstellen und Formate in Bibliotheken sicherzustellen. Zudem fördert er die spartenübergreifende Harmonisierung der Erschließung und Datenvernetzung. Bei dem STA handelt es sich um einen kooperativen Zusammenschluss von Organisationen und Institutionen der Kultur und Wissenschaft aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die AfS der DNB nimmt die Geschäftsführung des Gremiums wahr.

Die Gemeinsame Normdatei ist für alle da

Ein zentrales „Produkt“ des STA: die GND. Wie der Name sagt, sind in ihr Normdaten erfasst. Diese repräsentieren und beschreiben Entitäten – also zum Beispiel Personen, Orte oder Werke, die in Bezug zu kulturellen und wissenschaftlichen Sammlungen stehen. Vor allem Bibliotheken nutzen die GND, um Literatur zu erschließen. Zunehmend arbeiten aber auch Archive, Museen, Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen im Rahmen von Forschungsprojekten mit der GND. Die Konsequenz der Öffnung der GND für weitere Kultursparten? Die Strukturen des STA müssen weiterentwickelt werden. Auch die Gremien und Kreise der Teilnehmer*innen werden schrittweise an die neuen Erfordernisse angepasst.

Wo steht die Community-Arbeit?

Seit Beginn des Öffnungsprozesses der GND für weitere Kultureinrichtungen treten immer mehr Akteur*innen an die AfS heran. Ihr Anliegen: ihre eigenen fach- oder themenspezifischen Bedarfe in die Weiterentwicklung der GND einbringen.
Die AfS unterstützt die Beteiligung neuer Communities insbesondere durch online durchgeführte Auftaktveranstaltungen, die sogenannten Foren. Neben dem Community-Building dienen die Foren dazu, Interessen zu bündeln, zentrale Bedarfe und Fragestellungen in der Breite zu ermitteln und Akteur*innen miteinander zu vernetzen. Diesem Zweck dient auch die Gründung von IGs. Diese organisieren sich und ihre Arbeitsschwerpunkte grundsätzlich selbst, werden dabei aber von der AfS in Fragen zur Standardisierung, der Gremienarbeit im DACH-Raum sowie der GND eng begleitet. Zu den Interessengruppen gehören die IG Archiv, die IG Performing Arts, die IG Museum sowie die IG Bauwerke.

Das Handbuch ist da: Erfolgreicher Abschluss des 3R-Projekts

Seit Oktober 2015 erschließt die DNB nach dem RDA-Regelwerk. Dabei handelt es sich um einen internationalen Katalogisierungsstandard. Mit dem neuen RDA Toolkit erhält der Standard RDA eine neue technische Plattform – und diese weist eine völlig andere Dokumentationsstruktur sowie veränderte inhaltliche Konzepte auf. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf die Benutzung des Toolkits und die Festlegungen in Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen im DACH-Raum.

So viel ist sicher: RDA soll auch in Zukunft die Basis für die Erschließung im deutschsprachigen Raum bilden. Aus diesem Grund sind umfassende Anpassungsarbeiten notwendig. Um diese durchzuführen, wurde die Fachgruppe Erschließung damit beauftragt, ein gemeinsames Erschließungshandbuch für die Bibliotheken des DACH-Raums zu erstellen. Im Erschließungshandbuch werden alle für die Erschließung notwendigen Regelungen an einer zentralen Stelle zusammengefasst. Auftraggeber war der STA. Dabei handelt es sich um einen kooperativen Zusammenschluss von Einrichtungen aus Kultur und Wissenschaft im DACH-Raum. Er verfolgt das Ziel, den Einsatz einheitlicher Standards für die Erschließung, Schnittstellen und Formate in Bibliotheken sicherzustellen.

Ein neues Handbuch für den DACH-Raum

Im Jahr 2022 wurde das von der DNB geleitete und im deutschsprachigen Raum kooperativ durchgeführte Projekt 3R für DACH-Bibliotheken abgeschlossen. Das Ziel des Projektes wurde erreicht – inzwischen liegt für den DACH-Raum ein Erschließungshandbuch mit dem Namen RDA-DACH vor. Dokumentiert als Webanwendung auf Basis von Wikibase, beschreibt es die benötigten Elemente sowie zahlreiche Ressourcentypen. Das schließt auch Ressourcenbeschreibungen für Spezialmaterialien wie Alte Drucke, Musik, Hochschulschriften und fortlaufende Ressourcen mit ein. Das erste Release umfasst fast alle Elementbeschreibungen für publizierte Ressourcen und erste Regelungen für Alte Drucke. RDA-DACH wird nun im Rahmen der laufenden Regelwerksarbeit fortgeschrieben.

Auch wenn das Projekt für den deutschsprachigen Raum konzipiert ist, wird die Anbindung an die internationale Regelwerksarbeit gesucht. Hierfür stehen zum Beispiel die Mitarbeit im RSC, die Mitgliedschaft in der EURIG sowie die internationale Vernetzung in den thematischen Arbeitsgruppen des STA.

MARC 21: Standardisierung auf internationaler Ebene

Daten international nutzbar machen: Die DNB beteiligt sich dauerhaft auf internationaler Ebene an der Standardisierung des weltweit genutzten bibliografischen Austauschformats MARC 21. Dabei vertritt sie die Interessen der deutschsprachigen Bibliotheken.

Warum waren überhaupt Anpassungen in MARC 21 notwendig? Hintergrund ist, dass der Erschließungs-Standard RDA im Rahmen des sogenannten 3R-Projekts (RDA Toolkit Restructure and Redesign) gründlich überarbeitet worden ist. Bei RDA handelt es sich um einen internationalen Katalogisierungsstandard. Unter Leitung der DNB wurde dieser Standard in den Jahren 2012 bis 2016 im deutschsprachigen Raum eingeführt. Seit Oktober 2015 erschließt die DNB nach diesem Regelwerk. Die MARC/RDA Working Group hat 2019 die Koordination für die Überarbeitung von MARC 21 übernommen. Sie hat ihre Arbeiten 2022 abgeschlossen und einen Abschlussbericht vorgelegt.

Wünsche der deutschsprachigen Community

Für die deutschsprachige Community war es dabei besonders relevant, Herkunftsangaben in MARC 21 einzubringen. Diese werden in RDA unter dem Begriff „data provenance“ zusammengefasst. In einer breiten Auswahl von MARC-21-Feldern können Angaben über die vorhandenen Informationen im neuen Unterfeld $7 „Data provenance“ gemacht werden – bisher waren diese lediglich mit Hilfskonstruktionen abbildbar. Konkrete Anwendungsfälle sind bei Titeldaten die Angaben dazu, ob die Informationen maschinell erzeugt wurden und welche Transliterationsnorm verwendet wurde. Transliteration bedeutet hier, dass Informationen, die in nicht-lateinischer Schrift (zum Beispiel Griechisch, Kyrillisch, Hebräisch, Arabisch, aber auch Chinesisch) vorliegen, in kontrollierter Weise – Zeichen für Zeichen – in eine lateinische Schriftform gebracht werden

Bei den Normdaten ist es jetzt möglich, die sprach- und schriftcodierten Sucheinstiege, Markierungen zum Verwendungskontext sowie zur zuständigen Institution klarer zu transportieren. In welcher Sprache und Schrift liegt dieser Titel vor? In welchem Zusammenhang wird diese Namensform einer Handschrift verwendet? Wer hat dieses Feld und seine Informationen dem Datensatz hinzugefügt – wen kann ich also dazu befragen? Auch frei formulierte Anmerkungen sind jetzt klarer in MARC transportierbar.

Herkunft maschinell recherchieren

Im Mittelpunkt der Provenienzforschung (vom Lateinischen provenire: herkommen) steht die Herkunftsgeschichte von Kulturgütern. Das maschinell interpretierbare Strukturieren von Angaben zur Provenienzforschung und Provenienzerschließung war ein weiteres wichtiges Thema: Um die manchmal vielfältige und gewundene Geschichte eines einzelnen Exemplars zu dokumentieren, werden Zeitpunkte und Zeitabschnitte mit dem vorherigen Besitz und den darauf hinweisenden Provenienzmerkmalen festgehalten.

Zum Ergänzen und Erweitern des textlich orientierten Anmerkungs-Feldes 561 hat die Arbeitsgruppe Provenienzerschließung in Zusammenarbeit mit der DNB einen Antrag für ein neues MARC-21-Feld gestellt. Dieses soll Verknüpfungen hin zu einer Normdatei (wie der GND) oder dem Thesaurus der Provenienzbegriffe (T-PRO) enthalten können. Im T-PRO werden kontrollierte Begriffe zur Art eines Exemplars, zu rechtlichen Statusangaben und zu physischen Herkunftsmerkmalen gesammelt und gepflegt. Das neue Feld 361 „Ownership and Custodial History in Structured Form“ wird in MARC 21 im Bestandsdatenformat und im Titeldatenformat angelegt. Für die Beschreibung von Schriftdenkmälern und deren Provenienzen erfolgt dies auch im Normdatenformat, sodass bei wichtigen Werken perspektivisch auch in der GND eine Erschließung von Provenienzmerkmalen unterstützt wird.

Geschichte vor der Haustür: Die Frankfurt History App

An mehr als 1.000 Orten wird jetzt in Frankfurt am Main NS-Geschichte hör- und erfassbar: Mit der Frankfurt History App können Nutzer*innen erfahren, was in ihrer Nachbarschaft zur Zeit des Nationalsozialismus geschehen ist. Die App ist Teil des digitalen Projekts „Frankfurt und der Nationalsozialismus. Eine Gedächtnisplattform“. Das Projekt bündelt Bildungsangebote zum Thema NS, das Exilarchiv der DNB hat zur App beigetragen.

Damit konnte das Exilarchiv seine Vernetzung mit städtischen Kultureinrichtungen Frankfurts weiter ausbauen. Hinter dem digitalen Projekt stehen das Historische Museum Frankfurt, das Jüdische Museum Frankfurt und das Institut für Stadtgeschichte Frankfurt. Es vernetzt Frankfurter Einrichtungen, Initiativen, Museen und Archive und macht sie mit ihren Themen sichtbarer – so auch das Exilarchiv der DNB, das an der Frankfurt History App beteiligt ist. Die deutsch- und englischsprachige App spricht die Nutzer*innen in deren heutiger Lebenswelt an. Sie können erfahren, was in ihrer Nachbarschaft früher geschehen ist, sie können historische Orte und persönliche Geschichten entdecken, sich über die Geschichte Frankfurts im Nationalsozialismus informieren und angelegten Stadtrundgängen folgen. Die App soll um weitere Inhalte ergänzt werden.

Auf den Spuren einer berühmten Frankfurterin

Ein wichtiger Zugang zur Geschichte – und damit Teil der App – sind Biografien. Das Exilarchiv hat die Biografie von Karola Siegel und wichtige Stationen ihres Lebens in Frankfurt am Main in die App eingebracht. In der Brahmstraße 8 wuchs die später als Dr. Ruth Westheimer berühmt gewordene Sexualtherapeutin auf. Sie besuchte die streng religiöse Samson-Raphael-Hirsch-Schule am Tiergarten 8 in Frankfurt am Main, heute Heinrich-von-Gagern-Gymnasium. Vom Frankfurter Hauptbahnhof fuhr sie am 5. Januar 1939 als Zehnjährige mit dem Kindertransport in die Schweiz. Ihre Eltern und Großmutter blieben zurück, sie überlebten den Holocaust nicht. An Irma, Julius und Selma Siegel wird in der Gedenkstätte Börneplatz erinnert. Zu all diesen Orten finden sich in der App Texte und Bilder, auch zum Exilarchiv selbst.Die Frankfurt History App kann über den Apple Store und den Play Store heruntergeladen werden.


Zur Gedächtnisplattform

Zur Frankfurt History App im Google Playstore

Zur Frankfurt History App im Apple App Store

Zum Deutschen Exilarchiv 1939-1945

Zusammenarbeit mit dem We Refugees Archive

Das We Refugees Archive ist ein wachsendes digitales Archiv zu Flucht in Vergangenheit und Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen individuelle Schicksale und der Mikrokosmos Stadt als Ort der Zuflucht und des Neuanfangs. Das We Refugees Archive ist ein Projekt von „Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung gemeinnützige GmbH“. Das Exilarchiv der DNB hat auf mehreren Ebenen mit der Initiative kooperiert.

So wurden ausgewählte Digitalisate aus der Sammlung des Exilarchivs in das We Refugees Archive integriert. Fotografien und Dokumente aus dem umfangreichen Nachlass des Finanzwissenschaftlers Fritz Neumark geben im Kontext des Themenschwerpunkts „Istanbul“ einen Eindruck vom Exil in der Türkei. Fritz Neumark fand dort 1933 durch Vermittlung der Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland Aufnahme und erhielt eine Professur an der Universität Istanbul. Aus seinem Nachlass stellte das Exilarchiv Digitalisate von Fotografien, Pässen, Verträgen und weiteren Dokumenten zur Verfügung. Zudem wurden Exponate aus dem reichen Bestand „American Guild for German Cultural Freedom / Deutsche Akademie im Exil“ des Exilarchivs ins We Refugees Archive eingebracht. Die Digitalisate treffen im We Refugees Archive auf neue Kontexte und werden in Workshops für Multiplikator*innen der Bildungsarbeit eingesetzt.

Zusammen denken: Flucht damals und heute

In den Räumlichkeiten des Exilarchivs wurde ein gemeinsamer Workshop durchgeführt. In diesem wurden interessierten Lehrkräften und anderen Multiplikator*innen die Angebote beider Einrichtungen vorgestellt. Ähnlich wie in dem vom Deutschen Exilarchiv verantworteten Netzwerkprojekt „Künste im Exil“ steht auch im We Refugees Archive die Verbindung des historischen Exils 1933–1945 mit den Erfahrungen heutiger Exilant*innen im Fokus. Gegenwärtige Fluchtgeschichten werden zunehmend in Bezug auf die historischen Dimensionen des Exils perspektiviert. In der Podiumsdiskussion „Flucht- und Exilgeschichte(n) erinnern“ diskutierten Dr. Sylvia Asmus (Deutsches Exilarchiv), Dr. Anne von Oswald (We Refugees Archive), Cornelia Vossen (Exilmuseum Berlin) und Asal Dardan (Autorin) in der Deutschen Nationalbibliothek darüber, wie das historische Exil und gegenwärtige Fluchtgeschichte gemeinsam erinnert werden können. Die Moderation lag bei Dr. Sebastian Schirrmeister.


Deutsches Exilarchiv: Vernetzung und Wachstum

Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der DNB ist ein Ort der Auseinandersetzung mit den Themen Exil und Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus. Es sammelt Zeugnisse dieses Exils: Publikationen, institutionelle und persönliche Nachlässe – berufsübergreifend und unabhängig von der Prominenz einer Person. Ziel ist es, das Phänomen des Exils in seiner ganzen Breite zu erfassen und die Bestände zugänglich zu machen. Auch 2022 hat sich das Exilarchiv weiter vernetzt.

2022 konnte das Exilarchiv seine Bestandsmetadaten in weitere Plattformen einbinden – und damit in neue Kontexte. Die transnationale Plattform EHRI ist ein zentraler Wissensknoten für die Holocaust-Forschung. Die 346 Kurzbeschreibungen der Bestände des Exilarchivs treffen dort auf die Bestandsmetadaten zum Themengebiet von mehr als 2.200 Archiven aus 60 Staaten. Auch im Archivportal-D und der Deutschen Digitalen Bibliothek ist das Exilarchiv mit seinen Metadaten präsent.

Aus dem Leben von Leo Perutz

Mit dem Nachlass des nach Palästina emigrierten österreichischen Schriftstellers Leo Perutz (1882–1957) wurden weitere digitalisierte Archivalien aus den Beständen des Exilarchivs sichtbar gemacht. 1.600 Digitalisate sind für die Forschung nun online verfügbar, darunter die Reinschriften seiner Romane „Die dritte Kugel“ (1915), „Der Marques de Bolibar“ (1920) und „Zwischen neun und neun“ (1918). Aber auch Lebensdokumente wie seine Taschenkalender mit tagebuchähnlichen Aufzeichnungen aus den Jahren 1909–1957 sowie umfangreiche Korrespondenzen und Familienbriefe sind jetzt online zugänglich.

Anfragen aus aller Welt

Neben vielen Kooperationen und Vermittlungsprogrammen ist auch die verbesserte Sichtbarkeit der Bestände des Exilarchivs ein Grund für den starken Anstieg an Nutzer*innenanfragen. Forschende aus dem In- und Ausland nutzen die Bestände. Anfragen kamen unter anderem aus Brasilien, Island, Israel, Italien, Frankreich, Großbritannien, Kanada, Polen, Singapur, Spanien und den USA.

Besonders oft wurden das Archiv der Exilorganisation American Guild for German Cultural Freedom und das Archiv des Exilforschers und Filmwissenschaftlers Günter Peter Straschek genutzt. Die Ausrichtung der 9. Jahrestagung der KOOP-LITERA Deutschland in Frankfurt intensivierte die Vernetzung innerhalb der Archivwelt. Im Fokus der dreitägigen Tagung standen die Themen Digitalisierung und kooperative virtuelle Projekte, zudem stellten sich Frankfurter Institutionen mit ihren Sammlungen vor.

Fokus Wissenschaft: Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum als Forschungspartner

Neue Forschungsprojekte und eine intensivierte Mitwirkung an der akademischen Ausbildung:
2022 konnte der Ausbau von Kooperationen mit Partner*innen aus der Wissenschaft weiter vorangetrieben werden. Seitdem das Verhältnis zwischen Sammeln und Forschen durch die digitale Bereitstellung von Objekten und Metadaten einen weitreichenden Schub erfahren hat, ist die Forschungskooperation von großer strategischer Bedeutung für Gedächtniseinrichtungen. Mehr und mehr wird es eine Frage der Daseinsberechtigung für Bibliotheken, Metadatenbestände und Sammlungen – digital und analog – in die Kreisläufe der Wissenschaft einzuspeisen.

Das DBSM der Deutschen Nationalbibliothek ist somit mit einem dynamischen Anforderungsprofil konfrontiert. Einige Beispiele aus der Praxis können dieses Profil am besten erläutern. Neben Forschungsprojekten, die spezielle digitale oder analoge Sammlungen in den Fokus nehmen – seien es Heftromane, kinetische Bücher oder Wasserzeichen –, wird die DNB immer häufiger auch mit infrastrukturellen Themen kontaktiert. Dabei sind die wissenschaftlichen Fragestellungen, die das DBSM zusammen mit Partner*innen aus Geisteswissenschaft, Data Science, Bibliothekswelt oder KI entwickelt, breit gefächert: von der filmischen Repräsentation beweglicher Sammlungsobjekte über Text Mining und quantitative Methoden zur Messung wissenschaftlicher Forschung bis hin zu mathematischen Modellen zur Bilderkennung.

Ein Netz, das trägt: Kooperationen mit der Forschung

Dabei hat sich in den vergangenen Jahren ein stabiles Netz an Partner*innen aus der Wissenschaft etabliert. Zu ihnen zählen zum Beispiel das Zentrum für Buchwissenschaft der Universität München oder die Technische Universität Delft. Das Netzwerk umfasst neben Forschungsprojekten auch die Kooperation im Kontext der akademischen Ausbildung. Ein Beispiel ist das über drei Semester laufende Projekt „Zeitkapsel. Buchmesse sammeln“, das in Kooperation mit der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig durchgeführt wird. Darüber hinaus gibt es einen an der Universität Leipzig durchgeführten Lehrauftrag zur Vergangenheit und Zukunft der Wissensspeicherung. Ein weiteres Projekt ist die Evaluation der – in Kooperation mit dem ZDF entwickelten – Virtual Reality zu Goethes Faust durch die LMU München.

Das DBSM in der Wissenschaft: lehren, betreuen, vernetzen

Doch die Arbeit des DBSM geht über Lehraufträge sowie die Betreuung und Begutachtung von Abschlussarbeiten hinaus. So ist es ein wichtiges Ziel der Lehrkooperationen, Austauschprogramme für Promovenden aufzubauen. Dies geschieht etwa im Kontext eines EU-Projekts MECANO zu Kanonisierungstendenzen in der Zitationspraxis oder im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Literatur und Öffentlichkeit“. Auch bietet das DBSM Workshops für den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft oder die ESU an. Darüber hinaus intensiviert es seine Mitarbeit in Gremien wie dem Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel. Der vom DBSM und dem Fachbereich Erwerbung und Erschließung auf den Weg gebrachte Wissenschaftliche Dienst verankert die Kooperationen mit der Wissenschaft fest im Selbstverständnis der DNB.

Neuigkeiten bei der Zeitschriftendatenbank

Die ZDB spielt in der deutschen Bibliothekslandschaft eine große Rolle: Sie ist das nationale Nachweisinstrument und die zentrale Referenz¬datenbank für fortlaufende Werke aller Art. Die SBB und die DNB wollen die Bedeutung der ZDB in einer sich wandelnden Bibliothekslandschaft weiter stabilisieren und stärken.

Auch zukünftig soll die Zeitschriftendatenbank ein wichtiger Bestandteil der Dateninfrastruktur für Zeitschriften sein. Aus diesem Grund engagieren sich die Staatsbibliothek zu Berlin und die Deutsche Nationalbibliothek in der AG Systemlandschaft. Diese wurde im Jahr 2022 gemeinsam von der AGV der deutschsprachigen Bibliotheksverbünde, der EZB und der Zeitschriftendatenbank ins Leben gerufen.

Das Ziel der AG-Systemlandschaft? Die bestehenden Datenflüsse kartieren und damit einen Überblick über die bestehende Dateninfrastruktur erarbeiten. Gerade im Bereich der elektronischen Zeitschriften entstehen durch neue Bibliothekssysteme sowie neue Systeme zum Electronic Ressource Management neue Knotenpunkte. Diese haben den Datenfluss bereits heute verändert – und werden dies auch in Zukunft tun. Das Kartieren der Datenflüsse soll die Grundlage für ihre nachfolgende Optimierung bilden.

ZDB wird Masterdatei für den WorldCat

WorldCat ist eine weltweit genutzte Datenbank für bibliografische Daten und Bestandsnachweise. Die ZDB wird zukünftig im WorldCat von OCLC als Masterdatei für Zeitschriftentitel in deutscher Katalogisierungssprache verstanden. Das bedeutet: Nur über die ZDB gelangen neue Zeitschriftentitel in deutscher Katalogisierungssprache in den WorldCat. Damit wird die ZDB in der globalen Datenbank WorldCat nachhaltig verankert. Zudem steigt die Qualität der ZDB-Daten im WorldCat, da die Anzahl der mehrfach nachgewiesenen Zeitschriftentitel in deutscher Katalogisierungssprache reduziert wird.

Ende 2022 wurden alle Zeitschriftentitel in deutscher Katalogisierungssprache erstmalig zentral aus der ZDB an den WorldCat geliefert. Gleichzeitig stellten die deutschsprachigen Bibliotheksverbünde ihre Datenlieferungen zu Zeitschriften an den WorldCat ein. Mit dem Import der zentralen Lieferung aus der ZDB waren umfangreiche Aufräumarbeiten im WorldCat verbunden. Ein regelmäßiges zentrales Lieferverfahren aus der ZDB im Laufe des Jahres 2023 wird dazu beitragen, die verbesserte Datenqualität dauerhaft zu halten.

Auswertung der Datenfelder für Bestands- und Lizenzangaben wird einfacher

Das Optimieren der Datenstrukturen und des Datenformats der Zeitschriftendatenbank war auch im Jahr 2022 ein wichtiges Ziel. Dabei im Fokus: die Überarbeitung der Datenfelder für Bestands- und Lizenzangaben in maschinell interpretierbarer Form. Sie ist erforderlich, um eine verbesserte Auswertung der in ihnen enthaltenen Informationen für Funktionen in Fernleihe, Dokumentenlieferdiensten, ZDB-Katalog und JOP zu bieten.

Letzte Änderung: 19.09.2023

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