Welche Wege nahm die Literatur? Das Zentralantiquariat der DDR

Die Aufgabe des Zentralantiquariats der DDR: vor allem wissenschaftliche antiquarische Literatur sammeln, bearbeiten und verkaufen. Das Zentralantiquariat spielte eine zentrale Rolle für die Verteilung antiquarischer Literatur nach 1945. Doch wie sahen die Handelspraktiken des Antiquariats aus? Um die Herkunftsgeschichte (Provenienz) antiquarisch gehandelter Bücher in den Nachkriegsjahrzehnten zu erforschen, hat die Staatsbibliothek zu Berlin im Spätherbst 2022 ein zweijähriges Forschungsprojekt gestartet. Die Deutsche Nationalbibliothek ist Kooperationspartnerin. 


Das Zentralantiquariat der DDR wurde 1959 in Leipzig als Handelsunternehmen der DDR gegründet. Der Verkauf der Literatur erfolgte u. a. über ein Vorkaufsrecht an Institutionen in der DDR, etwa die Deutsche Staatsbibliothek in Berlin und die Deutsche Bücherei in Leipzig. Um Devisen zu erwirtschaften, exportierte das Zentralantiquariat außerdem in großem Umfang Bücher in das – im DDR-Sprachgebrauch – „nichtsozialistische Wirtschaftssystem“, insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, nach Schweden, in die Niederlande und in die Schweiz.

Die Deutsche Nationalbibliothek liefert wichtige Quellen

In dem zweijährigen Forschungsprojekt – gefördert durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste – untersucht die SBB die Verkaufspraxis und Handelswege des Zentralantiquariats: Wie sahen die Zirkulation und Verteilungsprozesse damals aus? Als Kooperationspartnerin stellt die Deutsche Nationalbibliothek der Staatsbibliothek zu Berlin eine wichtige Quellengrundlage zur Verfügung: Im Deutschen Buch- und Schriftmuseum sind an die 170 Auktions- und Verkaufskataloge und über 1.600 Angebotslisten des Zentralantiquariats überliefert. Diese werden im Rahmen des Projekts von der Staatsbibliothek digitalisiert und mit Volltexterkennung erschlossen. Die Staatsbibliothek hat außerdem eine Desideraten-Liste der bislang fehlenden Kataloge und Angebotslisten veröffentlicht, um das Quellenkorpus ggf. später noch weiter ergänzen zu können.

Kritische Provenienzen ins Auge gefasst

Neben der Digitalisierung sieht das Forschungsprojekt Recherchen zu den Erwerbungen vor, die die Vorgängereinrichtungen der Staatsbibliothek zu Berlin und weitere ost- und westdeutsche Bibliotheken beim Zentralantiquariat der DDR getätigt haben. Auf diesem Weg sollen typische Provenienzen dokumentiert werden, die das Zentralantiquariat durchlaufen haben. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Identifizierung von kritischen Provenienzen wie NS-Raubgut, Bodenreformgut oder Buchbesitz, der von sogenannten „Republikflüchtigen“ zurückgelassen wurde. Die Ergebnisse werden in den digitalisierten Sammlungen der Staatsbibliothek zu Berlin sowie im ProvenienzWiki und der Datenbank Proveana dokumentiert.

Zu den Bibliotheken, deren Erwerbungen überprüft werden, zählt auch das Deutsche Buch- und Schriftmuseum, dessen Erwerbungen beim Zentralantiquariat anhand der Zugangsbücher identifizierbar sind. Im Sommer 2023 hat die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Projekts daher drei Monate im Deutschen Buch- und Schriftmuseum Leipzig verbracht, um anhand der Zugangsbücher die ZA-Erwerbungen der 1960er bis 1980er Jahre zu ermitteln und diese mit Hilfe von Autopsien auf mögliche Provenienzen zu untersuchen.

Geringer Anteil an Verdachtsfällen

Im Ergebnis wurden ca. 2.050 Bände überprüft. Die bei der Autopsie erfassten Provenienzmerkmale – Stempel, Exlibris, Autogramme, Widmungen, Altsignaturen oder Nummern – verweisen auf Personen und Körperschaften wie Universitäten und Schulen oder auch Adels- und Schlossbibliotheken. Diese Bände gelangten wahrscheinlich infolge von Bibliotheksauflösungen oder durch die Aussonderung von Dubletten in den Verkauf durch das Zentralantiquariat. Vereinzelt fielen bei der Überprüfung der Erwerbungen Verdachtsfälle auf NS-Raubgut und Bodenreformgut auf, die quantitativ allerdings einen sehr geringen Anteil ausmachen. Diese Verdachtsfälle werden nun von der Referentin für Provenienzforschung der DNB weiter erforscht.

Hier geht es zu den Digitalisaten bei der Staatsbibliothek zu Berlin sowie zum ProvenienzWiki und zur Datenbank Proveana

Der digitale Blick in die Geschichte

Weitere Quellen zur Geschichte des Nationalsozialismus und des Exils jetzt digital zugänglich: die „Reichsausbürgerungskartei" mit über 38.000 Nachweiskarten sowie 900 Kurztexte, die der Schriftsteller Walter Meckauer in einem Handkoffer mit ins Exil nahm. Auch gesprochenes Wort ist nun digital zugreifbar. Im Rahmen der Kooperation des Exilarchivs mit der USC Shoah Foundation wurde der Deutschen Nationalbibliothek der kostenfreie, vollumfängliche Zugang zum Visual History Archive (VHA) ermöglicht.


Am 10. Juli 1940 entzogen die Nationalsozialisten dem Universitätsprofessor und Finanzwissenschaftler Fritz Neumark die Staatsangehörigkeit. In der sogenannten „Reichsausbürgerungskartei", die 38.000 Nachweiskarten enthält, ist das vermerkt. Fritz Neumark erfuhr von seiner Ausbürgerung durch den Brief einer Schweizer Kollegin. Er selbst befand sich bereits im türkischen Exil. 1935 hatte er eine Professur im Fachgebiet Sozialhygiene und Statistik an der Universität Istanbul angetreten und leitete dort später das finanzwissenschaftliche Institut. 1952 entschloss sich Neumark dauerhaft nach Deutschland zurückzukehren. Er wurde später Rektor der Frankfurter Goethe-Universität. Die deutsche Staatsbürgerschaft nahm er erst 1954 wieder an – und behielt zur Sicherheit auch die türkische.

Perfides Instrument der Nationalsozialisten

Das Deutsche Exilarchiv hat die „Reichsausbürgerungskartei" nun digital zugänglich gemacht. In dieser Blattsammlung wurden Personen verzeichnet, denen in den Jahren 1933 bis 1941 die deutsche Staatsangehörigkeit durch das „Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit" vom 14. Juli 1933 entzogen worden war. Die zwangsweise Aberkennung der Staatsangehörigkeit war ein perfides Instrument der Nationalsozialisten gegen politische Gegner*innen, und insbesondere gegen Jüdinnen und Juden. Als Folge wurden sie staatenlos und ihr Vermögen beschlagnahmt. In vielen Nachlässen des Exilarchivs sind Spuren der Ausbürgerung dokumentiert.

Der „alte braune Koffer“ und seine Geschichte

Auch die 900 Kurztexte, die der Schriftsteller und Dramaturg Walter Meckauer mit ins Exil nahm, liegen nun digital vor und können weltweit eingesehen werden. Meckauer verließ im März 1933 Deutschland, nachdem er vor seiner Verhaftung gewarnt worden war. Er emigrierte mit seiner Familie über die Schweiz nach Positano in Italien. 1939 flüchteten sie weiter nach Südfrankreich und 1942 auf abenteuerlichen Wegen wieder in die Schweiz.

Die Kurztexte rettete seine Sekretärin nach der überstürzten Flucht 1933 und brachte sie in einem Handkoffer in die Schweiz. Der Inhalt des „alten braunen Koffers“, wie er in der Familie genannt wurde, umfasst ein umfangreiches Konvolut von Manuskripten, Geschichten, Berichten und Beobachtungen; insgesamt ca. 1.000 Blatt, die Meckauer zum Teil bereits in Zeitungen veröffentlicht hatte. Der Koffer ist Teil der Dauerausstellung des Exilarchivs „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ in Frankfurt. Mit den Kurztexten bildet er ein festes Ensemble.

Über 50.000 Interviews frei zugänglich

Aber nicht nur geschriebenes, auch gesprochenes Wort ist nun digital zugänglich. Im Rahmen der Kooperation mit der USC Shoah Foundation wurde der Deutschen Nationalbibliothek der kostenfreie, vollumfängliche Zugang zum Visual History Archive (VHA) ermöglicht, das mehr als 50.000 Interviews umfasst. Es handelt sich um die weltweit größte Interviewsammlung zur Shoah und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Auch Bestandsbildende des Exilarchivs wie der Germanist und Bibliothekar Kurt Salomon Maier, die Schriftstellerin Anja Lundholm, der Politologe John Stoessinger, der Kabarettist und Autor Rolf Kralovitz und der Gewerkschaftler Ernesto Kroch haben ihre Lebensgeschichten den Interviewenden erzählt.

Für mehr Aktualität: Lizenzdaten schneller nachgewiesen

Seit über zwei Jahrzehnten besteht eine enge Partnerschaft zwischen der Elektronischen Zeitschriftenbibliothek (EZB) und der Zeitschriftendatenbank (ZDB). Die ZDB wird in gemeinsamer Verantwortung von der Staatsbibliothek zu Berlin und der Deutschen Nationalbibliothek betrieben und kontinuierlich weiterentwickelt, während die EZB an der Universitätsbibliothek Regensburg angesiedelt ist. Seit Beginn ihrer Zusammenarbeit bieten EZB und ZDB eine Reihe von Diensten an, darunter auch den EZB-ZDB-Datendienst, der im Jahr 2023 modernisiert wurde.


Für den EZB-ZDB-Datendienst können sich Institutionen freischalten lassen, die ihre Lizenzdaten in der EZB erfassen. Die Lizenzdaten geben Auskunft darüber, welche Zeitschriften oder Zeitschriftenbände in der jeweiligen Institution lizenziert und damit verfügbar sind. Die von der entsprechenden Institution in der EZB erstellten Daten – sowie wahlweise zusätzlich Nachweise von freien Zeitschriften – werden dann in die ZDB übernommen. Damit sind sie über den ZDB-Katalog einsehbar und recherchierbar. Über die etablierten Datendienste und Schnittstellen der Zeitschriftendatenbank werden die Daten den Verbünden zur Übernahme in die Verbundkataloge und die Lokalsysteme bereitgestellt.

Bislang wurden Lizenzdaten von der EZB in einem proprietären XML-Format geliefert und wöchentlich in die ZDB eingespielt. Die Einspielung erfolgte unter Berücksichtigung der wöchentlichen Mengenlimitierung, die mit den Verbünden vereinbart wurde. Durch diese Limitierung wird gewährleistet, dass die Datenmenge der ZDB-Lieferungen durch die beziehenden Systeme verarbeitet werden kann.

Automatisierung für mehr Aktualität

Mit dem 01.06.2023 wurde das Verfahren für den EZB-ZDB-Datendienst umgestellt und stärker automatisiert. Die Lizenzangaben werden nun von der EZB über eine OAI-Schnittstelle täglich bereitgestellt – und zwar in dem im bibliothekarischen Raum genutzten Standardformat MARC21-xml. Sofern die Mengenlimitierung es erlaubt, wird die Schnittstelle seitens DNB auch täglich angefragt und die geänderten Daten des vorherigen Tages werden in die ZDB eingespielt. Der Nachweis der Lizenzangaben aus der EZB ist damit aktueller als zuvor. Mit der Automatisierung des Verfahrens greifen zudem im Katalogisierungssystem implementierte Prüfungsmechanismen, was der Qualität der eingespielten Daten zugutekommt.

Erhöhung der Mengenbegrenzung für mehr Aktualität

Die täglich neu erzeugten und aktualisierten Bestandsdaten in den beiden kooperativen Systemen EZB und ZDB haben allerdings inzwischen einen erheblichen Umfang erreicht. Die bisherige Mengenobergrenze verzögert dabei die Einspielung von Daten sowie die Datenversorgung der beziehenden Systeme. Um zu ermöglichen, dass die Systeme sich zeitnah aktualisieren bzw. synchronisieren, wird die Mengenobergrenze seit Februar 2024 sukzessive erhöht. Das Ziel: die wöchentliche Mengenobergrenze für Bestandsdaten der ZDB in 2024 von maximal 200.000 auf maximal 1.000.000 pro Woche anheben.

Die Erhöhung ist ein erster Schritt zu einer allgemeinen Erweiterung – bestenfalls auch Aufhebung – von Mengenobergrenzen im Datenaustausch. Damit soll der zentrale Vorteil des neuen Verfahrens für den EZB-ZDB-Datendienst – die Möglichkeit einer täglichen Aktualisierung von EZB-Daten – auch in Lizenzierungsphasen greifen. In diesen Phasen wird nämlich aufgrund von Änderungen in Verträgen eine sehr große Anzahl an geänderten Daten in der EZB generiert.

Hier gelangen Sie zum Artikel über den zweiten gemeinsamen Service von EZB und ZBD – den JOP-Service.

Digitale Bestände sicher nutzen – dauerhafte Aufgabe für die IT

Ob E-Books, Artikel und Hefte aus E-Journals oder Hörbücher und Musiktracks zum Download: Der Sammelauftrag der Deutschen Nationalbibliothek umfasst auch digitale Objekte – sogenannte unkörperliche Medienwerke. In der Deutschen Nationalbibliothek gehören dazu auch digitale Objekte, die aus Gründen der Kataloganreicherung erzeugt werden: Dazu zählen Inhaltsverzeichnisse aus gedruckten Büchern oder für die Bestandserhaltung erzeugte ganze digitale Objekte. 2023 hat die laufende Erneuerung der IT-Infrastruktur für die Sammlung der unkörperlichen Medienwerke große Fortschritte gemacht.


Dabei hat sich die schrittweise und agile Vorgehensweise bewährt. Schrittweise und agil bedeutet für die Deutsche Nationalbibliothek vor allem, dass diese im Rahmen der technischen Neuentwicklung flexibel auf die jeweiligen Themen und Bedürfnisse reagieren kann – und nicht alles auf einmal in den Blick nehmen muss. Das Vorgehen wird in 2024 deutliche Verbesserungen bringen, vor allem in Bezug auf die Nachnutzbarkeit und Robustheit der entwickelten Software und der Prozesse

Im Jahr 2023 lag der Schwerpunkt auf der Entwicklung von zwei Prozessen. Einerseits wurde die Übernahme von Kataloganreicherungsdaten wie den Inhaltsverzeichnissen aus dem Projekt „Kataloganreicherung 1945–2012" vorangetrieben. Andererseits wurde ein komplett neuer funktionaler Import von unkörperlichen Musikobjekten mit dem weit verbreiteten Metadatenformat DDEX ERN 4.3 für die Musikindustrie entwickelt. Beide Prozesse konnten soweit vorbereitet werden, dass sie 2024 in die Produktion überführt werden können.

Ein großes Ziel vor Augen

Vor allem mit dem Beginn der Umsetzung des Imports für den neuen Objekttyp digitale Musik konnten wichtige Voraussetzungen geschaffen werden. Diese sind wesentlich für die Erneuerung der gesamten Funktionalitäten für den Import unkörperlicher Medienwerke. Dies gilt auch für Objekttypen, die bereits mit der alten Infrastruktur erfolgreich importiert wurden.

Die Erneuerung der Gesamtinfrastruktur bleibt eine große Aufgabe, an der mittelfristig kontinuierlich weitergearbeitet wird. Das Ziel: Die Gesamtinfrastruktur soll alle relevanten Geschäftsprozesse für die Sammlung von unkörperlichen Medienwerken enthalten – und letztlich in einer ganzheitlich und flexibel nachnutzbaren Prozesslandschaft für diesen großen Teil des Bestandes der Deutschen Nationalbibliothek münden.

Letzte Änderung: 04.06.2024

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